Grenzenlos: Die Handschrift und Bilder der Jeannine Platz – von Mathias Heller
„Es ist einfach dieses Gewirr von Kranen und Brücken, dieses Kommen und Gehen von den Schiffen, dieses Leuchten und Pulsieren und das Dynamische des Treibens.“ Wenn Jeannine Platz vom Hamburger Hafen erzählt, leuchten ihre Augen. Oft hat sie ihn gemalt. Am liebsten in Övelgönne auf Höhe der Strandperle gegenüber vom Container Terminal am Burchardkai. In dem Strandcafé war sie auch mal Artist in Residence – aber ihre Bilder entstehen nicht nur dort.
Jeannine Platz: Freigeist und Kind des Nordens
Vor über 40 Jahren ist sie in der Nähe von Hannover groß geworden. Ein kleines Dorf, eine halbe Stunde bis in die Stadt. Zehn Straßen, 600 Einwohner. „Zwischen Bauern, Feldern und Wiesen – da bin ich aufgewachsen“, erzählt sie. Man hat aufeinander aufgepasst. So hat der Schulbus immer auf die lütte Jeannine gewartet – die war oft zu spät dran. Zu sehr war sie in ihrer Welt unterwegs – dafür brauchte es nicht viel: „Es lag immer ein Blatt Papier da und ich hab immer irgendwas gemalt oder in ein Tagebuch geschrieben, was eingeklebt und hab meine Welt so kreiert – das war meine Realität.“
Was sich für kleine Jeannine in der Kindheit ganz heimelig und beschützt angefühlt hat, wird für sie in der Jugend eher beengend: „Ich hab als Kind schon immer gedacht: Was machen die hier? Ich hab mich da in dieser anderen Welt nie zu Hause gefühlt, egal ob es die Familie war, oder dieses Dorf – es war mir alles zu eng. Ich habe mir meine Wahrheit und meine Realität geschaffen – und sie hatte keine Grenzen.“ Mit 17 zieht sie aus – erst in ein Nachbardorf, später in die Stadt.
Von der Werbekauffrau zur Schauspielerin
Die ersten künstlerischen Schritte macht die Tochter einer Hausfrau und eines Programmierers bereits vor ihrer Schulzeit. Ihr Talent hat sie von ihrem Urgroßvater, wie sie meint – der war Berufsmaler. „Unser Haus hing immer mit diesen Gemälden voll. Da gab es eine Schneelandschaft, die in der Kriegszeit um 1943 entstanden ist. Ich dachte: Wahnsinn, in so einer schlimmen Zeit hat er so etwas Schönes erschaffen. Da habe ich als Kind immer gedacht: Wow, der macht was, wozu er Lust hat und er malt so schön, das möchte ich auch mal machen.“
Statt auf eine Kunstschule zu gehen, macht die junge Jeannine mit „Rastazöpfen, Nasenring und nicht ausgeschlafenem Blick“, wie sie sagt, nach dem Abi eine Ausbildung zur Werbekauffrau – auf Wunsch des Vaters. Doch wie der Zufall es will, ist nebenan eine Filmproduktion, bei der sie auch einsteigen und sich ausprobieren kann. Sie tritt nicht nur hinter der Kamera in Erscheinung, sondern auch davor. Sie bekommt Geschmack und macht eine Moderationsausbildung in Hamburg. „Irgendwann hat dann der Lehrer gesagt: Immer wenn wir das Fach Schauspiel haben, dann leuchten deine Augen. Willst du das nicht nur noch machen? Und ich so: Ja! Am liebsten.“ Gesagt, getan. Sie spricht an einer Schauspielschule vor und wird genommen. Das Ohnsorg Theater wird ihre neue Arbeitsstelle. Doch wie das Leben so spielt, wird sie schwanger und hängt die Schauspielerei an den Nagel.
Malerei als Anker und Hafen
Trotz Ausbildung, Fernsehkarriere und Schauspielerei, gibt Jeannine Platz ihre Leidenschaft für die Malerei nie auf und bleibt ihr treu. So malt sie bereits während des Studiums bis in die Nacht – meistens Frauenakte in Großformat. „Ich dachte, das klappt. Dann verkaufe ich was und kann mein Schauspielstudium damit finanzieren. Das ging so leicht. Ich habe mit der Malerei so eine Leichtigkeit gehabt und so dachte ich mir, dann mache ich es einfach weiter.“ Mit Erfolg. Sie arbeitet dabei weniger mit Pinseln. Eher benutzt sie ihre Hände, Finger und Ballen – ein Markenzeichen. So ist sie immer unabhängig und frei, nicht nur in der Wahl der Mittel und bewahrt sie sich ihre Leichtigkeit bis heute.
Alles, was sie macht, kennt keinen Druck oder Zwang. Es passiert mit Freude und dem innerem Glauben an das Richtige: „Ich mach mir nie Gedanken, was es denn werden soll. Ich greife zu irgendwelchen Farben und dann geht’s los. Das ist so ein schönes Gefühl, nicht denken zu müssen.“
Bilder und Projekte voller Weite und Freiheit
So entstanden bis heute zahlreiche Projekte. Oftmals sind sie sehr zeitintensiv, da sie über einen längeren Zeitraum angelegt sind. Wie „Sound Of Ice“, bei dem sie in der Antarktis und der Arktis die Landschaften vor Ort auf einem Schiff in Eiseskälte auf Leinwand bannt. Immer mit dem Hintergedanken, dass Farben und Hände einfrieren könnten. Oder sie versieht mit dem Projekt „Message In A Box“ einen großen Überseecontainer mit einem Gemälde des Hamburger Hafens, der dann ein Jahr auf allen Weltmeeren von Hafen zu Hafen unterwegs ist.
Bei den „Suite Views“ reist sie rund um den Globus, um die Weite des Horizonts aus Hotelsuiten festzuhalten. Die Weite, die für die 50-Jährige eine tiefe Bedeutung hat: „Das ist so etwas Grenzenloses, das man sich in seinen Gedanken und in seinem Gefühl vorstellen und dass es wahr werden kann. Dass die Begrenzung aufgehoben wird. Es ist eigentlich ein inneres Gefühl. Ich bin gar nicht so festgelegt auf ein Meer oder so. Diese Weite findet eigentlich innen statt.“
Meisterin mit Hand und Schrift
War die Malerei immer ein wichtiger Teil von Jeannine Platz Schaffen, so waren es ihre kalligrafischen Arbeiten genauso. Mit knapp sechs Jahren bringt sie sich selbst das Schreiben bei und verfasst sogar einen Roman. Schon damals werden die Lehrer auf ihre Handschrift aufmerksam. „Ganz besonders schön“ heißt es oft. Dabei spielt für sie die Form und die Art des Schreibwerkzeuges keine Rolle, egal ob Stahlfeder, Strohhalm, Reste einer Cola-Dose, ein Kamm oder einfach nur die Finger. Hauptsache das gewünschte Ergebnis stellt sich ein.
Nobelmarken wie Chanel oder Montblanc werden vor 25 Jahren auf sie und ihr Schreibtalent aufmerksam. So passiert es schon mal, dass sie über 5.000 handgeschriebene Einladungskarten innerhalb von nur zwei Wochen für ein besonderes Event abliefern muss. „Manchmal hab ich Schriftstücke, da hab ich nur ein Versuch und keinen anderen, weil es wertvolle Dinge sind, wie eine Urkunde, die auf einem wahnsinnig teurem Papier gemacht ist und wo ich nur ein einziges Exemplar bekomme.“ Stress? Keine Spur. Eher ein Mega-Spaß für die zweifache Mutter. „Ich liebe das. Ich mach so, dass ich nicht so viel denke, sondern ich sage einfach: Es wird einfach. Und dann vertraue ich auch wieder und dann wird es.“ Was einfach klingt, hat eine lange Erfahrungsstrecke hinter sich.
Kalligrafie-Meisterwerke für die Kunst und Unternehmen
Auch bei der Kalligrafie hat sie Projekte, wie die „Words in Motion“. Dabei Schreibt sie Gedanken kalligrafisch auf Gegenstände wie Autos, Kleider, Taschen oder Konzertflügel. Oder mit ihrem Projekt „The Voice On My Skin“. Dabei lassen sich Musiker wie The BossHoss, Heinz-Rudolf Kunze, Jasmin Wagner oder Lilian Gold ihre Songtexte auf den Körper kalligrafieren. Musik wird zu Schrift und zu einer neuen Kunstform.
Aktuell stehen neue Projekte auf der Liste der Künstlerin, so werden im neu eröffneten Hotel „The Cloud One“ in Hamburg insgesamt über 480 veredelte Bilder von ihr in den Zimmern zu sehen sein und über der Bar hängt ein 15 mal zwei Meter großes Hafen-Gemälde. Zudem arbeitet sie an einem Mondprojekt, das Ende des Jahres auch in Hamburg zu sehen sein wird. Noch allerdings kümmert sie sich auch noch um ihre beiden Töchter, doch auch sie werden irgendwann flügge – wie die Mutter. „Wenn die mal irgendwann aus dem Haus sind, werde ich dann vielleicht ans Meer und die Weite malen. Ich glaube, ich bleib bei der Malerei, weil das einfach etwas ist, was ich gefunden habe, was mein Herz erfüllt.“
© NDR.de, Foto: Christina Grob