„Handschrift ist unsere Seele auf Papier“
Die Hamburgerin lässt aus ihrer
Feder Emotionen fließen. Ihre
Werke landen auch auf Autos,
Kleidern und Schiffscontainern
„Mama, nicht so expressiv!“ Mit
mahnender Stimme imitiert
Jeannine ihre Töchter. „Das
sagen sie manchmal, wenn
ich etwas für die Schule un-
terschreiben soll.“ Sie lacht: „Ja, meine Schrift
ist sehr ausladend. Actionreich. Und es gibt
nur meine künstlerische Handschrift. Selbst
wenn ich einen Einkaufszettel schreibe.“
Das Schreiben begleitet die Malerin und
Kalligrafie-Künstlerin aus Hamburg schon
ihr ganzes Leben lang. „Es war seit der Schule
immer ein Teil von mir. Damals habe ich
noch separat gemalt und geschrieben. Ir-
gendwann passierte es ganz organisch, dass
ich in meine Bilder am Ende kleine Botschaf
en reingeschrieben habe.“ Inzwischen tritt
die Malerei bei manchen ihrer Bilder in den
Hintergrund. Die Schrift wird zum Star: „Ich
bekam sogar konkrete Aufträge: Wenn du mir
einen Hafen malst, schreibt du mir da noch
diese Liebeserklärung mit rein?“
Ihr erstes Bild verkaufte Jeannine Platz mit
22 eher zufällig. „Da habe ich gedacht, ach,
das ist ja toll, das wird wertgeschätzt, das ma-
che ich weiter.“ Zunächst wird die ausgebil-
dete Werbekauffrau jedoch Snynchronspre-
cherin und Schauspielerin. Als sie schließlich
auf ihre Schrift angesprochen und gefragt
wird, ob sie Einladungen für eine Agentur
schreiben könnte, rückt die bildende Kunst
in den Mittelpunkt ihres Lebens. „Ich würde
genauso malen und schreiben, wenn ich kein
Geld damit verdienen würde. Aber es ist na-
türlich ganz wundervoll, dass ich Geld dafür
bekomme“, sagt sie. Die Freude darüber ist
ihr anzuhören. Ihre Begeisterung teilt Jean-
nine gerne: „Zu mir ins Atelier kommen oft
Menschen, die sagen, sie haben keine gute
Handschrift. Aber ich denke, das stimmt nicht
– und drücke jedem Besucher einfach mal
eine Feder in die Hand. Wir dürfen die Schrift
nicht verlieren, wir sollten sie zelebrieren!“
Ihr Appell: „Übt das Schreiben, am besten
jeden Tag. Es ist wichtig für das Gehirn und
aktiviert ganz viele Areale.“ Beim Tippen, das
bestätigen Hirnforscher, gehen die Verbin-
dungen vom Gehirn zur Hand verloren
n einer Welt, in der wir fast nur noch tip-
pen, gibt Jeannine Platz’ der Handschrift mit
ihrer Ausstellung „Words in Motion“ darum
eine Bühne. Als Performance-Künstlerin
lässt sie mithilfe ihre Kalligrafie auf Hochzei-
ten aus den Wünschen der Gäste live große
Bilder entstehen. Für Kunden wie Chanel
oder Montblanc beschreibt sie Weihnachts-
kugeln und Tischkarten, und zuletzt schrieb
sie für einen Mann monatelang Liebesbriefe
auf, die zu einem Heiratsantrag wurden. „Ein
Schriftstück ist immer eine Wertschätzung für
denjenigen, der es bekommt“, sagt die zweifa-
che Mutter. „Man setzt sich hin, nimmt sich
Zeit und schreibt sein Innerstes hinaus. Da
kratzt es auch mal oder spritzt.“ Auf dem Pa-
pier gibt es keine Taste zum Löschen. „Es ist
authentisch, echt und pur. Wir formen unsere
Gefühle in Worte. Persönlicher geht’s nicht.“
Auch im Gespräch sprudeln die Worte aus
Jeannine nur so heraus. Nur einmal überlegt
sie lange: Was für ein Mensch sie sei? „Frei“
ist das Wort, das ihr schließlich einfällt. „Ich
bin sehr flexibel und neugierig auf die Welt.“
Am Nachmittag wird sie zum ersten Mal für
einen Auftrag mit Rotwein schreiben. Und
bevor sie schlafen geht, wird Jeannine wie
jeden Tag an die Wand ihrer Mietwohnung
schreiben, wofür sie dankbar ist. Wieder lacht
sie: „Bei uns ist jede Wand voll geschrieben.“
Ist kein Platz mehr, wird halt gestrichen.